Turnen mit Draghi

Wer kann sich noch an den Turnunterricht der 6. Klasse erinnern? Bodenturnen? Meine Übung in der Schule lief wie folgt ab: Los ging es mit einem Handstand. Von diesem aus hieß es rückwärts abrollen. Dann kam ein freier Teil, der möglichst spektakulär und ausgefallen sein sollte. In der Mitte baute ich einen Spagat ein (ja, mit 13 Jahren war das noch machbar), gefolgt von einer Pirouette. Worauf es aber besonders ankam, war die Schlusspose. Hier ging es darum, den Körper von Kopf bis Fuß durchzustrecken, ein breites Lächeln an den Tag zu legen und allen zu signalisieren: Egal was geturnt wurde, es entsprach exakt genauso dem Plan.

Was hat das mit Mario Draghi zu tun? Nun, Draghis Amtszeit, die in diesen Tagen langsam endet, weist erstaunliche Parallelen zum Turnen auf.

Er hat zum ersten Mal in der Geschichte des Euro-Raums den negativen Einlagensatz eingeführt. Wir müssen also Zinsen zahlen, wenn wir Geld verleihen. Verkehrte Welt – oder nicht?

Noch spektakulärer wurde es mit den Wertpapierankäufen. Da hat sich Draghi, so wie ich damals, ein paar Tricks von den anderen Turnern (in seinem Fall die Federal Reserve oder die Bank of Japan) abgeguckt. Damit hat der EZB-Chef aber auch das Mandat der Notenbank erheblich gestreckt (also einen Spagat gemacht), denn Staatsanleiheankäufe von Notenbanken können schnell als indirekte Staatsfinanzierung aufgefasst werden. Die EZB hat dabei so viele Maßnahmen beschlossen (PSPP, CSPP, CBPP3, ABSPP, TLTRO), dass die Zuschauer schnell die Orientierung verlieren konnten.

Kurz vor Ende der Amtszeit gab es dann noch einmal eine Drehung, in der Draghi das „Best of“ der letzten Jahre (mehr Wertpapierankäufe und eine Senkung des Einlagensatz) darbot. Fraglich ist, ob das der EZB viel geholfen hat. Denn mehr ist nicht zwangsläufig besser – insbesondere, wenn man dabei zunehmend außer Atem kommt. Denn dann fällt die Schlusspose schwer. Die Kraft fehlt, es wackelt vorne und hinten. Das Vertrauen in die Notenbank, mittels weiterer Maßnahmen ihr Ziel der Preisstabilität zu erreichen, schwindet. Tatsächlich hat Draghi alles vorgeturnt, was ging. Jetzt sind andere Maßnahmen, z.B. von der Fiskalpolitik gefordert.

Und wie lautet die Schlussnote? Das muss jeder für sich selbst bestimmen, je nachdem ob man Sparer oder Schuldner ist. In jedem Fall wird auf Draghis Zeugnis stehen: Er hat sich sichtlich bemüht!

Autor

Christiane von Berg

Regional Economist

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