Chill mal, Deutschland!

Ja, ich habe es getan. Ich bekenne mich schuldig. Ich habe die Länderrisikoeinschätzung Deutschlands von A2 auf A3 gesetzt. Das ist bisher noch nie vorgekommen (zumindest nicht in den letzten 20 Jahren). Ich werde also wahrscheinlich in die deutsche Coface-Geschichte eingehen als diejenige, die Deutschland 2020 den Rest gegeben hat. Und das Allerschlimmste: Holland ist auf A2! Immerhin der Super-GAU konnte verhindert werden, denn Frankreich ist nicht besser, sondern auf derselben Stufe wie Deutschland. Moment, auf der selben Stufe wie Deutschland? Wie kann das denn sein?

Stärkste Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik

Genau diese Diskussion gab es in den letzten Wochen rund um die Veröffentlichung unseres Barometers, in dem wir die Länderrisikoeinstufung von insgesamt 71 Ländern heruntergenommen haben – Deutschland inklusive. Doch was ist dran an der ganzen Aufregung? Kam denn die Herabstufung der Bundesrepublik für so viele Personen aus heiterem Himmel? Immerhin steht uns die stärkste Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik ins Haus. Und in den letzten drei Monaten wurde für 11,7 Millionen Menschen Kurzarbeit angemeldet, das ist grob ein Viertel der Erwerbsbevölkerung (2009 lag die Zahl der Anträge bei 3,3 Millionen). Die Herabstufung selbst dürfte somit wenig umstritten sein, zumal, wenn man sich unsere Bewertungsskala ansieht. Sie enthält die Noten A, B, C, D und E, wobei A nochmals unterteilt ist in A1 bis A4. Deutschland ist und bleibt also im besten Segment und hat nur die „Sub-Note“ gewechselt. Dabei kann ich alleine natürlich die Herabstufung gar nicht entscheiden. Sie wird in Abstimmung mit meinen auf der ganzen Welt verteilten Kolleginnen und Kollegen getroffen – nach einer Beratung mit dem jeweiligen Risikomanagement und erst nach Billigung durch das globale Management verabschiedet.

Deutschland und Frankreich bewegen auf dem Niveau von A3: Deutschland an der oberen Grenze, Frankreich an der unteren

Wenn wir also ehrlich sind, dann ist es nicht die Herabstufung, die für Aufregung sorgt, sondern vielmehr der Vergleich. Dies ist wiederum spannend, denn tatsächlich hat sich beim Beispiel Niederlande, Frankreich, Deutschland nichts geändert. Wir haben alle drei Länder eine Stufe herabgesenkt, die Unterschiede sind also geblieben. Die Niederlande sind dabei weiterhin mit niedrigem Risiko bewertet, da der Konjunktureinbruch dort nicht ganz so groß war. So gab es dort keinen Lockdown wie bei uns, so dass viele Geschäfte geöffnet blieben und auch die Produktion in vielen Unternehmen nicht eingeschränkt war. Auch die öffentliche Verschuldung steigt in den Niederlanden nach aktuellen Prognosen nicht so stark an wie in Deutschland. Zwar wird dort ein stärkeres Insolvenzwachstum erwartet, dies bedeutet aber nicht, dass der wirtschaftliche Schaden größer ist als bei uns. Denn bei einer blühenden Start-up-Branche und geringeren Kosten einer Insolvenz ist es umso einfacher, insolvent zu werden und somit eine höhere Wachstumszahl zu erreichen.

Bei Frankreich hingegen sehen wir zwar schon Unterschiede zu Deutschland, beide Länder bewegen sich aber dennoch auf dem Niveau von A3: Deutschland an der oberen Grenze und Frankreich an der unteren. Es ist also durchaus möglich, dass bei einem Fortschreiten der derzeit noch sehr zaghaften Konjunkturerholung in Deutschland, die Ländereinschätzung bald schon wieder nach oben korrigiert wird (wobei natürlich auch das Risiko einer zweiten Ansteckungswelle im Raum steht).

„Da steckt man einfach nicht drin“

Es ist und bleibt ärgerlich, dass wir nun in A3 sind, nachdem die Bundesrepublik lange im Sparmodus war und wir auch sonst in den letzten Jahren ein strebsames Verhalten an den Tag gelegt haben. So ist das nun mal, wir wollen zu den Besten gehören und arbeiten viel dafür. Persönlich kann ich das sehr gut nachvollziehen – auch ich gehörte zur Streberclique meines Jahrgangs. Und dennoch: Man kann so gut vorbereitet sein wie man will, manchmal wird in einer Krisensituation aus deinen Stärken (Exporthandel und Industrie) eine Schwäche. Man hätte vorab nichts ändern können oder wollen, „da steckt man einfach nicht drin“. Und daher bleibt nur eins, nämlich, das was mir die coolen Kids an der Schule früher immer gesagt haben: Chill mal!

Autor

Christiane von Berg

Regional Economist

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